Diagnostik der Autismus-Spektrum-Störung

1. Sie müssen mit längeren Anmeldezeiten für die Diagnostik rechnen (derzeit mindestens 1 Jahr).

Die klinische Diagnostik der Autismus-Spektrum-Störung ist zudem sehr umfangreich und erstreckt sich über eine längere Zeitspanne (mehrere Termine, häufig bis zu ½ Jahr). 

Dies sollten Sie bei erforderlichen Befunden, zum Beispiel für die Einschulung, vor Beginn der Berufsausbildung oder des Studiums und zur Verwendung für Behörden und Ämter u.ä., beachten.

2. Die Diagnostik der Autismus-Spektrum-Störung folgt dem sogenannten „Goldstandard“ der Autismus-Diagnostik und erfolgt gem. der interdisziplinären S3-Leitlinie zur Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter (2/2016), [Wirtz, M.-A. (Hrsg.). (2021). Dorsch Lexikon der Psychologie, Bern. Hogrefe. S. 250].

Diagnostisches Prozedere

Im benannten „Goldstandard“ der Autismus-Diagnostik werden diagnostische Verfahren (Fragebögen, Testverfahren, klinische Gespräche) eingesetzt, die für die Feststellung einer Autismus-Spektrum-Störung derzeit als relativ zuverlässig gelten.

Der diagnostische Prozess ist darauf ausgerichtet, individuelle Phänomene des Verhaltens, Erlebens und Denkens einer zu diagnostizierenden Person

  • in der sozialen Interaktion und Kommunikation und
  • von Verhaltensweisen im Sinne von Routinen, Ordnungen, sich wiederholende Gewohnheiten und Handlungen

zu erfassen, die man fachlich einer Autismus-Spektrum-Störung zuschreibt.

Für Erwachsene wird das „diagnostische Set“ erweitert, da die derzeit angewendeten Testverfahren aus dem „Goldstandard“ im traditionellen Schwerpunkt auf das Kindes- und Jugendalter ausgerichtet sind.

Im diagnostischen Prozess, diesem „Goldstandard“ folgend, werden Informationen durch Fremdeinschätzungen (in der Regel Fragebögen) von/mit Personen des sozialen Netzwerkes eingeholt. Dies mit dem Ziel, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie diese sozialen Kontakt- und Bezugspersonen die zu diagnostizierende Person in verschiedenen Anforderungslagen des Alltags erleben. Sehr häufig haben vor allem Eltern ein medial erworbenes Wissen über Autismus-Spektrum-Störungen, so dass außerfamiliale Informationen (Kita, Schule, Beruf etc.) zum Funktionsniveau von erheblicher Bedeutung sind. 

Im diagnostischen Prozess werden im direkten Kontakt Gespräche mit den zu diagnostizierenden Personen, bei Kindern, Jugendlichen auch mit deren Eltern oder andere Bezugspersonen, bei Erwachsenen gegebenenfalls mit Partnern, geführt.

Kleine Kinder oder Kinder, die nicht sprechen, werden im Versuch von Interaktionsgestaltung beobachtet, ebenso wie alle zu diagnostizierenden Personen während der Testdurchführungen und Gespräche in Bezug auf „autistisches“ Verhalten hin beobachtet werden.

In klinischen Gesprächen erfolgt eine spezifische biographische Analyse (Anamnese), die zudem mit einem dafür entwickelten Interview ergänzt wird (Längsschnittbefundung).  

Mit den zu diagnostizierenden Personen werden (alters- und entwicklungsabhängig) umfangreiche diagnostische Untersuchungen mit Hilfe von Fragebögen, Testverfahren, computergestützte Verfahren durchgeführt, die nicht nur die:

  • Diagnostik der Autismus-Spektrum-Störung mit spezifischen Verfahren (Querschnittsbefundung)

umfasst, sondern auch

  • die Entwicklungsdiagnostik mit Kindern und Jugendlichen und die Funktionsdiagnostik mit Erwachsenen (u. a. Intelligenzniveau, Wahrnehmung, Gedächtnis, Reiz- und Aufmerksamkeitsmanagement, Diagnostik der Selbst- und Handlungsorganisation; bei Kindern: gegebenenfalls Sprache, Motorik, Spiel, Interaktion);
  • die Diagnostik von Störungen in verschiedenen Anforderungslagen: im Kindes- und Jugendalter zum Beispiel Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Lese-Rechtschreibe-Störung, Dyskalkulie u. a. (für Nachteilsausgleiche); im Erwachsenenalter zum Beispiel die Diagnostik von arbeitsspezifischen „Leistungsstörungen“ (berufliche Teilhabe);
  • die Diagnostik umschriebener, anderer (komorbider) psychischer Störungen, zum Beispiel Bindungsstörungen (Kindesalter), Persönlichkeitsstörungen (im Erwachsenenalter), Affekt- und Angststörungen u. a. in allen Altersbereichen.

Die Ergebnisse werden gemäß der geltenden Klassifikation psychischer Störungen (ICD) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bewertet.

Derzeit gilt noch die ICD-10, jedoch kann seit 01.01.2022 auch die ICD-11 angewendet werden, was für die Zuordnung der erhobenen Daten zu einer Autismus-Spektrum-Störung eine fachlich korrektere Perspektive eröffnet.

Nicht in jedem Fall aber kann aus den erhobenen Daten auf eine Autismus-Spektrum-Störung geschlossen werden, insofern auch andere Ursachen (-kombinationen) und andere Diagnosen möglich sind. 

Am Ende des diagnostischen Prozederes findet ein Auswertungs- und Beratungsgespräch mit den beteiligten Personen (bei Kindern/Jugendlichen im Regelfall mit den Eltern, bei Erwachsenen gegebenenfalls mit den Partnern oder Institutionsvertretern) statt.

Es werden Vorschläge für die anschließend notwendigen therapeutischen und/oder weiterführenden diagnostischen Maßnahmen besprochen.

In der Regel erfolgt die Erstellung eines abschließenden Befundes, der den überweisenden Ärzten, aber auch den zu diagnostizierenden Personen, oder deren Eltern (Sorgeberechtigten), gegebenenfalls auf Wunsch auch Ämtern und Behörden zugeht. 

Weitere Informationen zur Diagnostik

1. Im Rahmen der Diagnostik einer Autismus-Spektrum-Störung muss im Kindesalter (vor allem bei jungen Kindern in der Entwicklungszeit vor der Einschulung) zwingend immer eine medizinische (Ausschluss-) Diagnostik (körperlich/genetisch) durchgeführt werden, da autistische Phänomene auch (komorbid) bei anderen Entwicklungsstörungen und/oder Krankheiten auftreten können. Dazu sollten Sie sich an die jeweilig behandelnden Ärzte wenden. Bringen Sie in jedem Fall das gelbe U-Heft mit!

  1. Falls die Vorstellung zur Diagnostik einer Autismus-Spektrum-Störung im Rahmen einer bereits bekannten anderen (Entwicklungs-) Störung/Krankheit erfolgt, häufig zum Beispiel:
  • Intelligenzminderungen,
  • Entwicklungsstörungen der Sprache und des Sprechens, der auditiven und visuellen Wahrnehmung, der Grob- und Feinmotorik, der Körperkoordination
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen,
  • Lernstörungen (Lese-Rechtschreibe-Störung, Dyskalkulie),
  • Bindungsstörungen oder andere emotionale und Verhaltensstörungen im Kindes- und Jugendalter,
  • bei (älteren) Jugendlichen und Erwachsenen bereits behandelte affektive Störungen (in der Regel Depressionen), Zwänge, Ängste, Persönlichkeitsstörungen, psychotische Phänomene,
  • Krankheiten, Schädigungen und Funktionsstörungen des Gehirns (zum Beispiel Zustand nach Hirnschäden verschiedener Ätiologie, kindlicher Hydrocephalus, Epilepsien, Fetales Alkoholsyndrom u.a.)

…, benötigen wir immer die bereits vorliegenden Befunde, die Sie bitte zum Erstgespräch mitbringen.

Gegebenenfalls müssen wir über ihre Schweigepflichtentbindung Befunde von den Fachkolleginnen und Fachkollegen einholen.

Bei Pflege- oder Adoptivkindern, wenn vorhanden, zusätzlich dokumentierte Informationen (zum Beispiel vom Jugendamt) zur Ursprungsfamilie und/oder der Entwicklung des Kindes bis zur Übernahme.   

Gegebenenfalls müssen wir über ihre Schweigepflichtentbindung oder die der Vormünder entsprechende Informationen vom Jugendamt einholen.