Autismus-Spektrum-Störung und Pathological Demand Avoidance (PDA)
6. Literatur
1. PDA als Verhaltensprofil
Das PDA (Pathological Demand Avoidance), das „pathologische Vermeiden von Anforderungen des Alltages“ als „Verhaltensstörung“ ist im deutschen Sprachraum relativ unbekannt. PDA ist etwas anders als die herkömmliche Prokrastination (das Aufschieben oder Vertagen von Handlungen/Anforderungen).
Es beschreibt eine klinisch relevante, zwanghafte Resistenz gegenüber alltäglichen Auf- und Anforderungen, verbunden mit einer Neigung, auf „sozial-manipulatives“ Verhalten zurückzugreifen, einschließlich unverschämter oder prekärer Handlungen (Spitzok von Brisinski et al. 2016). Klinische Relevanz liegt dann vor, wenn soziale Anforderungen die individuellen Kompensationsmöglichkeiten eines Menschen überschreiten und in bedeutsamer Weise dadurch subjektives Leid oder/und Beeinträchtigungen in sozialen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen entstehen. Speziell betrifft dies im Kindes- und Jugendalter die Entwicklung in sekundären Sozialisationskontexten wie zum Beispiel Kita, Schule oder Berufsausbildung (Entwicklungsaufgaben; Havighurst, 1972), insofern dadurch die Entwicklung gefährdet wird.
Störungen sind Ausdruck von dysfunktionalen psychischen, biologischen oder entwicklungspsychologischen Prozessen, denen psychische, seelische und mentale Funktionen zugrunde liegen (Wirtz, 2021; S. 1456, 1181). Eine psychische Störung ist dieser Definition nach im Phänomen als Syndrom beschreibbar, also einer überzufällig häufigen Kombination von diagnostizierbaren Symptomen (ebenda, S. 1793).
In der aktuellen kontroversen Diskussion zum PDA (Kamp-Becker et al., 2023) wird davon ausgegangen, dass das PDA keine eigenständige diagnostische Entität darstellt. Dies würde erfordern, dass dieses spezifische Verhaltensprofil nicht durch andere Störungen erklärbar wäre, also eine eigene Krankheitseinheit bzw. Ganzheit bezüglich Ursachen und abgrenzbarer Symptomatik darstellen würde. Insofern wird die Konzeption eines PDAS (Pathological Demand Avoidance Syndrom) kritisch gesehen.
Ebenso kritisch kann man diskutieren, ob PDA einen Subtyp anderer Störungen darstellt, wie zum Beispiel bei Autismus-Spektrum-Störung, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, elektivem Mutismus, Schulabsentismus, Anorexia nervosa, genetischen Syndromen mit bestimmten Phänotypen des Verhaltens, Epilepsie (Gilberg et al., 2015; Reilly et al., 2014).
Kamp-Becker et al. (2023) kommen zusammenfassend zum vorläufigen Schluss, dass PDA als ein Verhaltensprofil zu verstehen sei, welches sich „ungünstig auf den Verlauf bei verschiedenen Störungsbildern auswirken kann“ und „dass PDA eine Fassette in einem komplexen Störungsmodell darstellen kann“. (S. 321)
Dieser Ansatz ist in Unkenntnis von ätiopathogenetischen Zusammenhängen fachlich logisch, weil er zuvorderst und zu diesem Zeitpunkt von der Unspezifität der Symptomatik ausgeht.
In diagnostisch-therapeutischen Kontexten wird diese klinisch relevante Assoziation von Autismus-Spektrum-Störung und PDA-Verhaltensprofil bisher eher den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen zugeordnet (PDA Society 2020). Behelfsweise wurde klassifikatorisch auf F84.8, sonstige tiefgreifende Entwicklungsstörungen der ICD-10 zurückgegriffen. Da das PDA-Verhaltensprofil jedoch auch mit anderen Störungsbildern assoziiert, die nicht zwangsläufig tiefgreifende Entwicklungsstörungen repräsentieren, muss PDA als Verhaltensprofil differenzierter bewertet und beforscht werden.
Da unverschämtes Handeln und mangelnde Rücksicht Parallelen zu Störungen des Sozialverhaltens zeigen, „grausam-gefühllose Züge“ (Spitzok von Brisinski et al. 2016), wird in der Praxis das PDA-Verhaltensprofil häufig auch über die Störung des Sozialverhaltens mit oppositionell-aufsässigem Verhalten klassifiziert (ICD-10, F91.3). Insofern nicht nur Verweigerung beide Störungen zu verbinden scheint, sondern auch aggressives Verhalten, Mangel an Emotionsregulation und gefühllos-emotionale Merkmale (Malik & Baird, 2018; O’Nions et al., 2014).
Nach ICD-10 (F91.3) assoziiert diese Störung des Sozialverhaltens mit jungem Alter (vor dem Alter von 9 – 10 Jahren) und läuft entwicklungspsychologisch in späteren Formen in aggressive und/oder dissoziale Verhaltensstörungen hinein. In der Regel sind Kinder mit oppositionell-aufsässiger Störung des Sozialverhaltens psychosozial-biographisch hoch belastet. Es können zum Beispiel dysfunktionale Familienbeziehungen beobachtet werden, häufig auch familiale Belastungen, wie zum Beispiel Trennungssituationen. Häufig assoziiert eine oppositionell-aufsässige Störung des Sozialverhaltens auch mit frühen Bindungsstörungen.
Kinder mit Störungen des Sozialverhaltens zeigen im Gegensatz zu Kindern mit PDA-Verhaltensprofil, Scham in für sie peinlichen Situationen (O’Nions, Christie et al., 2014) und lassen sich mit verhaltenstherapeutischen und systemischen Techniken durchaus effektiv beeinflussen, was beim Vorliegen eines PDA-Verhaltensprofils jedoch nicht der Fall ist.
In einer Studie von O´Nions, Viding et al. (2014) ähnelten sich Kinder mit PDA-Verhaltensprofil, Störung des Sozialverhaltens und Autismus-Spektrum-Störung in der Häufigkeit emotionaler Probleme.
2. Diskussion zu Ursachen des PDA-Verhaltensprofils
Den Nachweis eines schlüssigen Ursachengefüges für das PDA-Verhaltensprofil gibt es derzeit nicht. Es werden lediglich Hypothesen dieses Verhaltensprofils als übergreifendes Störungsmerkmal oder als Temperamentsmerkmal diskutiert. In Anbetracht dieser unklaren Ursachenlage sollte man vorsichtig damit sein, das PDA-Verhaltensprofil auf ein Entlastungsphänomen elterlicher Verantwortung zu reduzieren, insbesondere da bezüglich psychosozialer Kontextvariablen derzeit keine Kenntnisse vorliegen.
Es muss ebenso davon ausgegangen werden, dass (früh-) kindliche Verhaltensweisen des PDA-Verhaltensprofils zwangsläufig zu einem erzieherischen „Mismatching“ führen. In der frühen Entwicklung eines Kindes regulieren Eltern die Phänomene des PDA-Verhaltensprofils ihres Kindes, in der Hoffnung auf „Besserung“, oft mit enormen Erziehungsaufwand. Mit beginnender sekundärer Sozialisation in der Kindertagesbetreuung wird die Vermeidungsproblematik bei sozialen Anforderungen und vor allem unter sozialem Anpassungsdruck in sozialen Gruppen der Peers im Handling bereits schon problematischer. Spätestens unter zusätzlichem schulischem Leistungsdruck dann aber präsentiert sich dieser Phänotyp hochwahrscheinlich deutlich.
Es ist davon auszugehen, dass steigender sozialer Anforderungsdruck in der sekundären Sozialisation die o.g. beobachtbaren Phänomene des PDA-Verhaltensprofils (Newson et al., 2003) aktiviert: zwanghaftes Wehren gegen Anforderungen, renitentes Verhalten in vielen Fassetten, Nutzen von manipulativen Strategien, welche sich oft auf Menschen anstatt auf Dinge konzentriert. Kinder mit einem PDA-Verhaltensprofil können ein hohes Maß an sozial-manipulativer Geschicklichkeit in den Vermeidungsstrategien bei Anforderungen haben.
Ob nun rein motivationale Gründe, verbunden mit Fremdzuschreibungen wie „böser Wille“, „Lustlosigkeit“, „Faulheit“ zwangsläufig die Quelle einer persistent-zwanghaften Resistenz sein müssen, muss offen bleiben. Eine Reduktion allein auf die motivationale Ebene muss aber kritisch hinterfragt werden.
Warum das Verhaltensprofil PDA anhaltend (persistent) insbesondere in der Entwicklungsspanne der Kindheit und Jugend besteht, welche Umstände die Symptomatik exazerbieren lassen, ist bis dato im Grunde nicht geklärt.
Möglicherweise können aus bisher nicht schlüssig aufklärbaren Gründen die Betroffenen Handlungen in sozialen Anforderungskontexten schlichtweg nicht umsetzen.
Erkundet man im praktischen Alltag im Einzelfall das Verhalten der jungen Protagonisten hinter der Fassade der Vermeidung, so stößt man in der Regel auf Ratlosigkeit und Planlosigkeit. Gefragt nach Gründen und falls nicht ausweichend-nicht beantwortend, finden die jungen Protagonisten selbst oft keine Erklärung.
Im Handbuch der PDA-Society zum PDA-Profil bei Autismus-Spektrum-Störung wird im Modell einer Anforderungs-Vermeidungs-Aufladungs-Dynamik ein „innerpsychischer“ Überforderungsprozess dargestellt, der in einer Art symptomatischer Endstrecke (Panik, Freeze, Flight, Fight) im Grunde in traumatogener Qualität endet.
Ob Ängste die Phänomene/die Dynamik der PDA auslösen, insofern ursächlich eine Rolle spielen könnten, ist bisher eher unklar. Dazu gibt es derzeit zu wenig belastbare Studien. Da Ängste sichtbar oder konzept- bzw. testabhängig diagnostisch „messbar“ sind, scheint dies nach derzeitigem Kenntnisstand jedoch eine naheliegende Erklärung.
Eltern von Kindern mit PDA-Verhaltensprofil stellten mehr Angstsymptome fest als Eltern deren Kinder eine Autismus-Spektrum-Störung oder eine Störung des Sozialverhaltens hatten (O´Nions et al. 2014).
Um das PDA-Verhaltensprofil nicht auf ein derzeit nicht fassbares biologisches Konstrukt zu reduzieren, bewegt sich die aktuelle Forschung dazu eher primär auf emotionalen, psychosozialen und motivationalen Pfaden und Pfaden des Temperamentes.
Historisch war in Unkenntnis der Ursachen des Autismus über Jahrzehnte zum Beispiel mit Bruno Bettelheims „Kühlschrankmütter“, aus dem psychoanalytischen Konzept heraus und auch von Leo Kanner, im Mangel an mütterlicher Wärme die emotional-psychosoziale Denkweise bedient worden. Dieser Stereotyp belastet heute noch Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung.
Heute jedoch ist hingegen Konsens (Autismus Deutschland, 2022): Eine Autismus-Spektrum-Störung basiert auf neurobiologisch bedingten Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken.
Ebenso ursächlich für das PDA-Verhaltensprofil könnten insofern hypothetisch auch neurobiologische Ursachen (neurobiologische Konstrukte) sein. Das PDA-Verhaltensprofil wird u.a. eben auch im Zusammenhang mit neurobiologischen Störungen, wie eben der Autismus-Spektrum-Störung, der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung oder der Epilepsie festgestellt.
Stuart et al. (2020) gehen davon aus, dass PDA eine Strategie sei, mit der emotionale und kognitive Sicherheit und Vorhersagbarkeit hergestellt werden kann. Hier wird der Aspekt der vorhersehenden Kontrolle von Reizen der sozialen Umwelt und deren Anforderungen zugrunde gelegt. „Prediction errors“ führen zu Ängsten und dazu, dass Kontrollverlust der sozialen Reizwelt gegenüber gemieden wird, um „prediction errors“ zu reduzieren. Ähnliche Phänomene und Ansätze sind auch in der neuropsychologischen Theoriebildung zur Autismus-Spektrum-Störung bekannt: Predicitive Coding Hypothese bzw. Parallel Distributed Processing Hypothese (zum Beispiel van Boxtel & Lu, 2013; Kamp-Becker & Bölte, 2021, S. 59; Kilner et al., 2007) und Dysexekutive Hypothese (van Elst, 2018; Kamp-Becker & Bölte, 2021, S. 38).
Diagnostische Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass bei Kindern und Jugendlichen mit PDA-Verhaltensprofil in neuropsychologischen Testungen nachweisbare Beeinträchtigungen der Exekutiven Funktion, also klinisch relevante Beeinträchtigungen der Selbst- und Handlungsorganisation vorliegen. Diese sind auch bei Varianten der Autismus-Spektrum-Störung und der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung bekannt, genauso wie bei Formen der Epilepsie.
Smith et al. (1999) und von Cramon (2000) unterscheiden in fünf Komponenten Exekutiver Funktionen (Müller et al., 2011, S. 67):
- die Fokussierung der Aufmerksamkeit,
- das Aufgabenmanagement (Planung und Koordination einzelner Prozesse in komplexen Aufgaben, „Zwischenschritte“),
- die Planung in Bezug auf eine zielgerichtete und sinnvolle Aktivität,
- die Überwachung und Kontrolle der Aktivität und nötigenfalls die Korrektur derselben,
die Leistungen des Arbeitsgedächtnisses.
3. Autismus-Spektrum-Störungen und PDA-Verhaltensprofil
1. Ausgehend von der bisherigen Perspektive, PDA als tiefgreifende Entwicklungsstörung zu verstehen, entwickelte sich zu diesem ätiologisch unklaren Verhaltensprofil im Zusammenhang mit einer Autismus-Spektrum-Störung der Sprachgebrauch Autismus-Spektrum-Störung mit PDA-Profil (PDA Society, 2020). Wie eingangs in der Erklärungsvielfalt zu PDA erwähnt, sollte man diesen Zusammenhang „vorsichtig“ interpretieren.
In einer nicht zwangsläufig repräsentativen Studie, bisher die einzige dazu, konnte ein Zusammenhang von Autismus-Spektrum-Störung und PDA bei 20% der untersuchten Kinder nachgewiesen werden und 4% zeigten ein sozial manipulatives Verhalten (Gilberg et al., 2015).
Erschwert wird die Einschätzung und Erforschung, weil allein schon aus der Variationsvielfalt der Autismus-Spektrum-Störung heraus die Kombination mit einem PDA-Verhaltensprofil eine Vielfalt im Phänotyp vermuten lässt, die man gegenwärtig hochwahrscheinlich nur schwer nach definierten Kriterien fassen kann.
Menschen mit PDA-Verhaltensprofil haben einige Aspekte sozialer Beeinträchtigungen in der Interaktion, die man auch bei Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung findet (Spitzok von Brisinski et al. 2016, O´Nions, Viding et al., 2014), insofern aus der Beeinträchtigung sozio-emotionaler Perspektivübernahmefähigkeit (Theory of Mind, ToM) sich das gemeinsame Merkmal des Mangels an „sittlichem Gespür“ (Fürstl, 2012) zu generieren scheint.
2. Kinder und Jugendliche in Varianten der Autismus-Spektrum-Störung mit einem PDA-Profil (Spitzok von Brisinski et al. 2016, Newson et al. 2003; O´Nions, Christie et al., 2014):
- verfügen im Gegensatz zur Autismus-Spektrum-Störung ohne PDA-Profil über eine funktionierende soziale Imitationsfähigkeit, insofern entwicklungspsychologisch Rollen- und Fantasiespiele beobachtet wurden;
- haben im Gegensatz zur Autismus-Spektrum-Störung ohne PDA-Profil keine zwangsläufigen Auffälligkeiten im Timing von Mimik und Gestik,
- verfügen im Gegensatz zur Autismus-Spektrum-Störung ohne PDA-Profil über die Fähigkeit zur sozialen Manipulation.
Das „Autismus-untypische“ Maskierungsverhalten von Kindern und Jugendlichen mit Autismus-Spektrum-Störung und PDA-Profil, welches eine allgemeine soziale Kompetenz vermittelt, erschwert das Erkennen der autistischen Grundlage, insofern sich diese Kompetenz besonders auf Vermeidung sozialer Erwartungen ausrichtet.
Auch ein „So-tun-als-ob-Verhalten“, das Kinder und Jugendliche im umschriebenen Autistischen-Spektrum nicht realisieren können, ist in Kombination mit einem PDA-Profil eher vorhanden. Eine oberflächliche Geselligkeit, jedoch mit Mangel an Sinn für Zusammengehörigkeit und sozialer Identifikation charakterisiert das Verhalten.
3. Untersucht wurde bisher ebenso wenig, wie sich die mögliche Kombination von Autismus-Spektrum-Störung und PDA-Verhaltensprofil geschlechtsspezifisch unterscheidet.
PDA wurde bisher bezüglich der Geschlechtsspezifik gleichverteilt festgestellt (Newson et al., 2003). Neuere Daten zum Geschlechtsverhältnis bei Autismus weisen auf 3 bis 4 (männlich) zu 1 (weiblich) hin (Zeidan et al., 2022).
Aus unseren praktischen Erfahrungen konnten wir beobachten, dass vor allem männliche Kinder und Jugendliche in der Kombination Autismus-Spektrum-Störung und PDA häufiger das „typische Erwartungsmuster“ erfüllen, also mit unverschämt-herausfordernd anmutendem Vermeidungsverhalten dominieren, und für eine Autismus-Spektrum-Störung „untypisch“ offensiv agieren, also „aufmüpfig“ und „frech“ erlebt werden, insofern in der Interaktion mit ihnen ein herausforderndes Verhalten besteht (Theunissen, 2018).
Wie in der geschlechtsspezifischen Unterscheidung bei Autismus-Spektrum-Störung sind die weiblichen Vertreter auch in der Kombination von Autismus-Spektrum-Störung mit PDA-Profil im Phänomenbereich in der Praxis „anders zu erleben“. Vielleicht sind im Kindes- und Jugendalter Mädchen in dieser Kombination deshalb eher in geringerer Häufigkeit festzustellen, weil die Vermeidungsstrategien von Anforderungen bereits in dieser Entwicklungsspanne „angepasster sind“, möglicherweise nicht so offensiv wie bei Jungen, nicht herausfordernd-oppositionell, nicht „störend“. Sie dominieren in den Vermeidungsstrategien hochwahrscheinlich eher mehr mit passiv-internalisiert koloriertem Vermeidungsverhalten, affektiven und psychosomatischen Reaktionen und ab der adoleszenten Entwicklungsspanne häufig auch mit Phänomenen von „dissoziativem“ Anschein auf den Anforderungsdruck.
4. PDA-Verhaltensprofil im Praxisalltag
Folgende Ausführungen basieren auf Überlegungen und Erfahrungen des praktischen Alltages einer psychotherapeutischen Praxis in ausgewählten häufigeren Problemlagen, in denen anforderungsspezifisch, störungsspezifisch und altersspezifisch Anpassungsstörungen möglicherweise durch ein PDA-Verhaltensprofil generiert werden können. Das Verständnis von Anpassungsstörung basiert dabei auf dem entwicklungspsychologischen „Passungsmodell“ von Brandtstädter (1985, 2007), insofern eine Diskrepanz zwischen individuellem Potenzial und sozialer Anforderung in den Entwicklungsaufgaben zu Anpassungsstörungen (i.S.v. maladaptiven Strategien) führen.
4.1. PDA-Verhaltensprofil und Schulabsentismus
Wird im Entwicklungsalter vor der Beschulung das zwanghaft anmutende Ablehnen/Abwehren von Anforderungen des PDA-Verhaltensprofils noch mit einer gewissen Toleranz (der Zuschreibung einer Entwicklungsverzögerung) wahrgenommen, führt es spätestens ab dem Schulalter zu erheblichen Problemen und kann in der Dynamik von disziplinierenden Sanktionen und der Verstärkung der individuellen Vermeidung in einem sich hochschaukelnden Zirkel zum Schulabsentismus führen.
In Anbetracht der Schulpflicht stellt dies insbesondere die Eltern vor erhebliche Probleme, schlussendlich aber auch das Schulsystem, denn die Pflicht zur Beschulung dieser Kinder und Jugendlichen obliegt (per Gesetz) auch den Schulbehörden, insofern entsprechende individuelle Lernsettings vorgehalten werden „müssten“.
Gillberg (2014) beschreibt die Spannbreite der Verhaltensweisen zum Aufrechterhalten der Vermeidung des Erfüllens der Anforderungen von „offen oppositionell“ oder „manipulativ“ bis zu „extremer Schüchternheit“, Passivität und Schweigen. Das Vermeidungsverhalten wird von den Betroffenen ziemlich oft auch in der Öffentlichkeit präsentiert und ohne ein Gefühl für die Unangemessenheit (einem Mangel an „sittlichem Gespür“ nach Fürstl, 2012) kann dies manchmal sogar exhibitionistisch wirken (Spitzok von Brisinski et al. 2016, S. 16).
Kinder und Jugendliche mit einem PDA-Verhaltensprofil, insbesondere aber vor allem auch Kinder und Jugendliche in Assoziation mit Autismus-Spektrum-Störung oder einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung und einem PDA-Verhaltensprofil haben in der Regel durch das pathologische Vermeiden von Anforderungen im Alltag besonders in Anforderungssystemen von Entwicklung, Bildung und Schule abweichende Entwicklungspfade (Sroufe, 1997) und Anpassungsstörungen.
4.1.1 Schulabsentismus als pädagogisches Konstrukt
1. Schulabsentismus ist keine in den internationalen Klassifikationssystemen erfasste klinische Diagnose. In der Regel tritt Schulabsentismus als ein Phänomen (oder Symptom) in Fällen „breiterer“ angelegter allgemeiner sozialer Vermeidungsstrategien auf, die vielfältige jedoch auch klinische Ursachen haben können.
Unter den Oberbegriff Schulabsentismus (engl. school absenteeism) fallen Verhaltensmuster, bei denen Schulpflichtige sich während der Unterrichtszeit weder im Klassenraum noch in der Schule aufhalten und zeitgleich alternative Räume bevorzugen. Es handelt sich um einen deskriptiven Klammerbegriff, der diverse Muster und Schweregrade schulbezogener Meidung zusammenfasst. Zentrales Merkmal ist somit die illegitime körperliche Abwesenheit aus dem Wirkbereich Schule, somit eine Schulpflichtverletzung (Ricking & Hagen, 2016, S. 19).
In der Forschungsliteratur gibt es keine einheitliche Definition oder keinen übereinstimmend verwendeten Begriff für das Fernbleiben von der Schule und vom Unterricht im Zwangskontext der normativ-gesetzlichen Schulpflicht.
2. Es werden unterschiedliche Bezeichnungen wie Schulvermeidung, Schulverweigerung, Schulversäumnis, Schulmüdigkeit, Schulverdrossenheit, Schulphobie, Schulangst und Schulschwänzen verwendet. Diese werden teilweise wiederum als Oberbegriffe benutzt, denen verschiedene Formen des Fernbleibens von der Schule zugeordnet werden. Diese Unterschiedlichkeit der Begriffsbestimmungen resultiert nicht zuletzt aus verschiedenartigen Sichtweisen von Pädagogen, Sozialarbeitern, Kinder- und Jugendpsychiatern, Psychologen, Juristen (Rotthaus, 2022).
Die schulmeidenden Verhaltensmuster sind komplex strukturiert und werden in der zugänglichen pädagogischen Fachliteratur zu dieser Thematik hinsichtlich der Bedingungskonstellationen in drei Formgruppen,
- das absichtliche Schulschwänzen des Kindes oder Jugendlichen,
- das Zurückhalten (Fehlverhalten der erzieherisch Verantwortlichen, Eltern verhindern den Schulbesuch oder billigen Schulversäumnisse),
- die angstbedingte Schulverweigerung (individuell- und beziehungsabhängig)
untergliedert.
Diese Klassifikation bezieht sich auf den ätiologischen Kontext, legitimiert sich durch deutlich unterscheidbare Bedingungsfaktoren und ist international anerkannt (Ricking & Hagen, 2016, S. 21).
Die letztbenannte „angstbedingte Schulverweigerung“ wird, wiederum in der zugänglichen (aktuelleren) Fachliteratur, auf Schulangst mit den Schwerpunkten
- soziale Angst,
- soziale Phobie,
- Leistungsangst
reduziert (Rotthaus, 2022).
Schulabsentismus stellt ein tatsächlich zuvorderst schulpädagogisch-sozialpädagogisch relevantes Phänomen dar. Aus dieser Branche heraus dominiert eine in der Sache absolut korrekte, jedoch auch reduktionistische Sichtweise. Angstdynamische Aspekte mit schulrelevanten Folgen werden in diesen drei Variationen auf soziale Ängste und Leistungsängste reduziert.
4.1.2 Schulabsentismus als klinisches Konstrukt
1. Vermeidung sozialer Anforderungen, bei denen Angst eine Ursache sein kann, ist aus dem bio-psycho-sozialen Modell von Krankheit und Gesundheit, einem multikausalen Verständnis, jedoch im Dreiklang der Ursachen (Ätiologie) und des Entwicklungsverlaufs (Genese) und auch individueller (u.a. auch biologischer) Faktoren zu verstehen, insofern verschiedene Risikofaktoren für die Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen betrachtet werden müssen, welches Schule vermeidet.
Risikofaktoren werden als Bedingungen verstanden, die die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung, psychischen Störung oder Erkrankung (über die Grundrate der diesen Bedingungen nicht ausgesetzten Personen) erhöhen. Es handelt sich dabei um ökologische, sozio-ökonomische, psychische oder physische Bedingungen beim oder im Umfeld des Heranwachsenden, die eine positive Entwicklung beeinträchtigen oder hemmen und die Wahrscheinlichkeit für Fehlentwicklungen erhöhen (Beelmann & Raabe, 2007).
So muss auch Schulabsentismus als multikausal bedingtes Verhalten in einem konkreten Kontext aufgefasst werden, in dem die relevanten Einflussgrößen aus unterschiedlichen Bereichen in komplexen Regelsystemen kumulieren und in dynamischem Interaktionszusammenhang stehen:
- familiärer Interaktions- und Lebensbedingungen,
- schulischer Rahmungen und Bindungen,
- Berücksichtigung von Wirkungszusammenhängen, die von Gleichaltrigen oder Gleichaltrigengruppen ausgehen,
und nicht zuletzt
- psycho-sozialer Dispositionen des Schülers (Ricking & Hagen, 2016, S.25).
2. Die „psycho-soziale Disposition des Schülers“ kann in Erweiterung auch neurobiologisch bedingte mentale Veränderungen beim Kind oder Jugendlichen betreffen, die nach Beelmann & Raabe (siehe oben) als „physische Bedingungen“ zusammengefasst werden. Diese wiederum können verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel:
- familiale Dispositionen (im engeren Verständnis genetisch),
- prä-, peri- oder postnatale Komplikationen, die sich auf Hirnfunktionen auswirken,
- andere Krankheiten, welche zu strukturellen und funktionellen hirnorganischen Veränderungen führen.
Es können aber auch, wie häufiger vorkommend, nicht aufklärbare (idiopathische) neurobiologische Ursachen sein, aus denen sich aufgrund einer erheblichen neurobiologischen Vulnerabilität (Papoušek, 2004) heraus, individuelle Muster sozialer Vermeidungsstrategien entwickeln, wie dies möglicherweise beim PDA-Verhaltensprofil mit und ohne Kombination einer Autismus-Spektrum-Störung oder einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung der Fall ist.
Der Schulabsentismus beim Vorliegen eines PDA-Verhaltensprofil mit und ohne Autismus-Spektrum-Störung oder Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung muss demnach nicht primär durch Ängste generiert sein, insbesondere da, siehe die einführenden Feststellungen dieses Artikels, eine Angstdetermination bisher nicht durch empirische Studien gesichert ist.
4.2 PDA-Verhaltensprofil und andere neuronale und mentale Störungsvarianten
1. Die Komorbidität der Autismus-Spektrum- mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (bis zu 80 %; Rommelse et al., 2010) verkompliziert sowohl die Belastungslage der Betroffenen als auch die Beurteilungslage.
Zum PDA-Verhaltensprofil in dieser komorbiden Variation gibt es bisher wenige Erkenntnisse.
In den Bereichen der Impulsivität und bei Defiziten in der Emotionsregulation gibt es im Phänomenbereich Überschneidungen des PDA mit der Variante vom Mischtypus der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (Egan et al., 2020).
Aggressive, unkontrollierte Verhaltensentladungen (egal ob verbal oder physisch), Stimmungs- und Affektlabilität sind insofern in dieser Kombination häufiger präsent.
Nicht selten beschreiben Betroffene mit PDA-Verhaltensprofil im impulsiv-vermeidenden Modus aber auch eine Art (tatsächlich empfundener) Zustände von „Panikattacken“, einem physisch empfundenen Zusammenbruch.
2. Im Spezialfall der Epilepsie (Reilly, et al., 2014) kann das PDA-Verhaltensprofil häufig mit Formen der Vermeidung, von Passivität oder mit Impulsivität auftreten. Passivität kann im frühen Entwicklungsalter in der motorischen Entwicklung durch Verzögerungen auffallen, häufiger aber in der Sprachentwicklung.
3. Wir konnten in der praktischen Tätigkeit eine überzufällige Häufung des PDA-Verhaltensprofils bei Beeinträchtigungen der kognitiven Funktionsentwicklung im schulischen Kontext auch bei Kindern und Jugendlichen mit umschriebenen Lernstörungen (Lese-Rechtschreibe-Störung, Dyskalkulie) feststellen, also ein Vermeidungsverhalten, dass nicht allein durch sekundäre Mechanismen wie Misserfolgsorientiertheit, Versagensängste, Minderwertigkeitsgefühle o.ä. erklärbar war.
4. Es ist ein praktischer Eindruck, dass bei der sogenannten „Übersensibilität“, also der sensorischen Sensitivität eine Häufung von PDA-Verhaltensprofil vorzuliegen scheint.
4.3 Mögliche Phänotypen der Autismus-Spektrum-Störung mit und ohne PDA-Verhaltensprofil im Erwachsenenalter
Die Befundlage zum Verlauf eines PDA-Verhaltensprofils in der Lebensspanne ist unterschiedlich. Während einerseits Daten vorliegen, die eine Stabilität oder eine Verstärkung vermuten lassen (Newson et al., 2003), gibt es andererseits auch Daten, die eine Reduktion nachweisen (Gilbert et al., 2015).
4.3.1 Verlaufsbeobachtungen
In einem Zeitraum von ca. 15 Jahren, in dem in unserer psychotherapeutischen Praxis auch Autismus diagnostiziert wird, kommt man nicht umhin, Entwicklungsverläufe bis in die späte Adoleszenz oder das Erwachsenenalter nachverfolgen zu können. Im Kindesalter diagnostizierte Varianten der Autismus-Spektrum-Störung mit und ohne einem möglichen PDA-Verhaltensprofil verändern oftmals sehr stark den Phänotyp.
Im Kindesalter nach dem „Goldstandard“ als eine Variante der Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert (Leitlinien zur Diagnostik von Autismus-Spektrum-Störungen, 2016) ist in Abhängigkeit von intellektuellen und geschlechtsspezifischen Faktoren, sowie dem Funktionsniveau der Autismus-Spektrum-Störung (in der Regel die Varianten, die nach ICD-10 als hochfunktionales Asperger-Syndrom klassifiziert werden) und gelernten Kompensationsleistungen das „Autistische“ auf den ersten Blick oft nicht mehr „sichtbar“ (Riedel & Clausen, 2020).
Noch schwieriger gestaltet sich die diagnostische Beurteilung bei Erwachsenen, die sich mit den unterschiedlichsten Symptomen in der Praxis erstmals zur Diagnostik vorstellen.
„Es sollte immer dann differenzialdiagnostisch an ein Asperger-Syndrom gedacht werden, wenn Patienten mit atypischen Präsentationen von affektiven Störungen, psychosenahen Phänomenen, Zwangssyndromen, Essstörungen oder Anpassungsstörungen vorstellig werden.“ (Tebartz v. Elst, 2016; S. 27).
4.3.2 Gedanken zu Verlaufsbeobachtungen bei Frauen
Im Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter können Frauen mit Autismus-Spektrum-Störung ohne und höherwahrscheinlich mit einem PDA-Verhaltensprofil einer Borderline-Organisation oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung ähneln.
Die Hälfte der untersuchten Patientinnen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung in einer allerdings kleinen Studie (38 Patientinnen) wies eine hohe Ausprägung an autistischen Zügen auf. Sie hatten eine signifikant reduzierte Fähigkeit zur Perspektivenübernahme (kognitive Empathie) und größere Schwierigkeiten bei der Identifikation und Beschreibung der eigenen Gefühle, während sich keine Unterschiede in Hinblick auf die emotionale Empathie fanden (Nanchen et al., 2016).
Borderline-Persönlichkeitsstörung und Autismus neigen im Erwachsenenalter zu emotionaler Labilität, Beziehungsinstabilität und Selbstwertinstabilität. Bei beiden bestehen Schwierigkeiten, soziale Symbolik zu interpretieren (Mentalisierungsstörung).
Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind in der Regel frühe Bindungstraumatisierungen (Bindungsdesorganisation; Brisch, 2022) und/oder konkrete Traumata in der Entwicklung nachweisbar. Psychodynamisch kann man „typische“ projektive Mechanismen und „typische“ strukturelle Funktionsniveaus nachweisen (Dulz & Scheider, 1996; Rudolf, 2020). Mentalisierungsstörungen, die zu „Falschinterpretationen“ führen, haben meist Reinszenierungscharakter.
Frauen mit Autismus-Spektrum-Störung können häufig vor allem über Mechanismen kognitiver Empathie zwar stressgenierend, jedoch ein „angepasstes“ Rollenverhalten realisieren.
Bei Frauen mit Autismus-Spektrum-Störung (nach ICD-10 beim hochfunktionalen Asperger-Syndrom) und hochwahrscheinlich eher auch in der Variante mit PDA-Verhaltensprofil scheint unter sozialem Anforderungsdruck eher eine unauflösbare Ambivalenz zwischen immerwährenden Versuchen sozialer Anpassung und passiven Vermeidungsstrategien zu bestehen, die sich eher in verschiedenen Fassetten instabiler internalisierender Symptombildungen wie in affektiven Störungen, dissoziativ anmutenden Phänomenen, Selbstdestruktion u.ä. äußern.
4.3.3 Gedanken zu Verlaufsbeobachtungen bei Männern
1. Im Übergang vom späten Jugend- ins Erwachsenenalter sind Männer der Variation von Autismus-Spektrum-Störung, ohne und hochwahrscheinlich besonders mit PDA-Verhaltensprofil manchmal nicht von narzisstischen Persönlichkeitsstilen oder Persönlichkeitsstörung zu unterscheiden.
Narzissten und Autisten mit PDA-Verhaltensprofil fehlt es an Einsicht und Empathie. Sie verwenden Manipulation, zeigen starke Stimmungsschwankungen, können (verbal geschickt) ihre Meinungen bis hin zu übernachhaltigen Überzeugungen darbieten, weil sie Schwierigkeiten haben, soziale Hinweise wahrzunehmen und zu interpretieren. Es besteht bei beiden ein hohes Maß an zwanghaftem Kontrollbedürfnis des sozialen Umfeldes.
„Autistischer Pseudonarzissmus“
In der Variation der Autismus-Spektrum-Störung (nach ICD-10 der hochfunktionalen Variante des Asperger-Syndroms) hochwahrscheinlich (nur) mit PDA-Verhaltensprofil spielt nach unseren Beobachtungen der „typisch narzisstische Machtaspekt“ (die Omnipotenz, der Drang geliebt und bewundert zu werden), das „narzisstische Überlegenheitsgefühl“ als Kontrollmotivation keine Rolle. Hier dienen emotionsbefreite, zwanghaft anmutende manipulative Verhaltensstrategien von Vermeidung gegenüber dem sozialen Umfeld der Reizkontrolle, der Aufrechterhaltung von individuellen Ordnungen und damit Ordnungen des sozialen und sächlichen Reizumfeldes. Die damit verbundene, teilweise „perfekte“ manipulative Zwanghaftigkeit lässt sich eher dem „Just-Right-Syndrom“ zuordnen. Mansour (2012) betrachtet Narzissmus, seine Theorie nicht frei von Kritik, als Teilaspekt des Autistischen-Spektrums.
2. Entwicklungspsychologische Verläufe von männlichen Betroffenen mit Autismus-Spektrum-Störung und möglicherweise in Variation mit dem PDA-Verhaltensprofil münden überzufällig häufig einen persistenten Vermeidungsduktus. Bei einigen Betroffenen bereits schon im späteren Jugendalter beginnend, führt dies in den völligen sozialen Rückzug, in die soziale Isolation hinein.
Es wird diskutiert, ob es bei diesen Verläufen einen Zusammenhang zu „Hikikomori“ gibt.
Hikikomori ist eine Form des pathologischen sozialen Rückzugs bis zur sozialen Isolation, welcher länger als 6 Monate besteht und mit anderen erheblichen Funktionsstörungen verbunden ist (Tamaki, 2013; Katsuki et al., 2020).
Hikikomori wurde ursprünglich in Japan als rein soziokulturell bedingtes Phänomen beobachtet. Vor allem junge Männer entziehen sich damit einem gesellschaftlich-normativen Leistungsdruck.
Da aber auch Fälle von Hikikomori aus anderen Ländern wie Südkorea, Spanien und den USA bekannt wurden, vermutete man eine Vielzahl komplizierter biopsychosozialer Faktoren, die nicht allein soziokulturell erklärbar schienen.
Hikikomori wurde im Rahmen von Untersuchungen komorbid bei verschiedenen psychiatrischen Störungen, einschließlich Angststörung, Depression, Persönlichkeitsstörung, Internetsucht und Autismus-Spektrum-Störung festgestellt. Im Vergleich zu einer Nicht-Hikikomori-Kontrollgruppe wurde bei „Hikikomori-Fällen“ eine höhere autistische Tendenz festgestellt (Beeinträchtigung sozialer Kommunikation und sozialer Interaktion), zudem mit dem Testverfahren BDI-II eine höhere depressive Vulnerabilität objektiviert (Katsuki et al., 2020/2023).
4.3.4 Differentialdiagnostische Kriterien
Was jeweils beide, die Persönlichkeitsstörungen und die Autismus-Spektrum-Störung mit und ohne PDA-Verhaltensprofil unterscheidet ist in erster Linie die Ätiologie.
Zudem unterscheidet sich die Autismus-Spektrum-Störung mit und ohne PDA-Verhaltensprofil von den beiden Persönlichkeitsstörungen durch das zusätzliche Vorhandensein von Beeinträchtigungen in der Vorhersehbarkeit (Dysexekutive Hypothese oder Predictive-Coding-Hypothese), was zur Ausrichtung des Denkens, Fühlens und Handelns auf Routinen und Ordnungen führt: anhaltend eingeschränkte, sich wiederholende und unflexible Verhaltensmuster, Interessen oder Aktivitäten, die für das Alter und den soziokulturellen Kontext der Person eindeutig untypisch oder übertrieben sind.
Bei der Autismus-Spektrum-Störung mit und ohne PDA-Profil im Erwachsenenalter, die zu Ähnlichkeiten mit den benannten Persönlichkeitsstörungen führen, kann bei Frauen und Männern häufiger ein überdurchschnittliches Intelligenzniveau nachgewiesen werden.
5. Behandlung des PDA-Verhaltensprofils
Es gibt derzeit keine evidenzbasierte Therapie des PDA-Verhaltensprofils, insofern vorliegende Programme eher empfehlenden Charakter haben. Hier wird, ohne einzelne Details näher zu beschreiben, auf das Handbuch der PDA-Society verwiesen:
www.pdasociety.org.uk
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